Innovation for Transformation: Verwertungskultur, Gründungsformen, Finanzierung – Innovative Start-ups gezielt und frühzeitig fördern

Dr. Jan C. BreitingerProgramm Nachhaltig Wirtschaften

Dr. Daniel Schraad-TischlerBertelsmann Stiftung

Dr. Marianne KulickeFraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI

Die deutsche Start-up-Förderlandschaft ist vielfältig und in vielen Belangen vorbildlich. Verbesserungspotenzial ergibt sich jedoch in der Initialphase, in der die Weichen für oder gegen eine Gründung gestellt werden. Unsere internationalen Good-Practice-Beispiele zeigen vielversprechende Ansatzpunkte zur Stärkung der Gründungsdynamik.

In den letzten Jahren hat sich in Deutschland zunehmend und unter wachsender politischer sowie medialer Aufmerksamkeit eine lebendige Gründungsszene entwickelt. Vor allem Hotspots wie Berlin, München oder Leipzig zeigen eine hohe Dynamik bei Gründungen mit neuen, oft digitalen Geschäftsmodellen, eingebettet in und verstärkt durch dynamische Start-up-Ökosysteme.

Diese Entwicklung ist aus verschiedenen Gründen wünschenswert: Innovative Start-ups lassen gänzlich neuartige Anwendungsfelder und Märkte entstehen und hinterfragen auf produktive Weise die Geschäftsmodelle etablierter Unternehmen.

Zudem können sie als Trendsetter und Impulsgeber bahnbrechender (hochtechnologischer) Lösungen wirken und auf diese Weise die Transformation hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft beschleunigen.

Positive Entwicklung auch durch vielfältige Förderlandschaft

Diese grundsätzlich positive Entwicklung lässt sich auch auf die vielfältige Förderlandschaft hierzulande zurückführen. Ob Förderprogramme und -stipendien wie EXIST, die Gründungsberatung im akademischen Bereich oder technologiespezifische Ideenwettbewerbe – die Palette an Unterstützungsangeboten ist breit und an vielen Stellen vorbildlich.

Zudem hat sich das Angebot an Risikokapital in den letzten Jahren enorm erhöht; vor allem in die Frühphasen von Unternehmensgründungen fließen mittlerweile nicht selten in einzelnen Finanzierungsrunden zwei- oder sogar dreistellige Millionenbeträge.

Auch zur Finanzierung der späteren Wachstumsphase sind viele ausländische Investoren auf dem deutschen Markt aktiv und zuletzt wurden Mittel in Milliardenhöhe bereitgestellt (vor allem durch den Zukunftsfonds des Bundes), sodass auch hier nicht mehr von Kapitalengpässen gesprochen werden kann.

Deutschlands Schwachstelle: Unzureichende Förderung in der Initialphase

Nichtsdestotrotz sind die jährlichen Gründungszahlen in Deutschland – vor allem in der forschungsintensiven Industrie und bei wissensintensiven Dienstleistungen – immer noch zu niedrig, wie der internationale Vergleich zeigt. Es entstehen zu wenige Start-ups mit exponentiellem Wachstum, die hoch innovative Geschäftsideen mit herausragendem Wirkungspotenzial umsetzen.

Insbesondere gilt das für Impact-Gründungen, Unternehmen also, die explizit auf eine positive gesellschaftliche Wirkung abzielen. Insgesamt lässt sich in diesem Kontext von einer quantitativen und vor allem qualitativen Gründungslücke sprechen: Eigentlich sind jede Menge vielversprechende Ideen und Forschungsresultate vorhanden, doch zu wenige kommen in die Anwendung – und auch gerade jene nicht, die zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen beitragen könnten.

Eine Ursache dieser Gründungslücke sind unzureichende Förderangebote in der Initialphase, dem ersten Schritt im Gründungsprozess, der den späteren Seed- bis Wachstumsphasen vorausgeht. In dieser grundlegenden Phase werden Ideen entwickelt und auf ihre Machbarkeit hin geprüft, bevor schließlich die Weichenstellung für (oder eben gegen) eine unternehmerische Tätigkeit erfolgt. Die Problemstellen der lückenhaften Förderung in dieser Phase sind vielgestaltig:

  • An Universitäten und Forschungseinrichtungen sind die Anstöße und Spielräume für Wissenschaftler:innen zu gering, um die Verwertungspotenziale ihrer Arbeit zu untersuchen. Generell mangelt es an Anreizen und Unterstützungsstrukturen, um Forschungsergebnisse in die Anwendung zu bringen.
  • Das bestehende Förderparadigma ist zu eng, denn es erfordert, dass gründungswillige Wissenschaftler:innen ihr Arbeitsumfeld verlassen und sich voll und ganz der Unternehmerrolle widmen. Oft fehlen hierfür die Kompetenzen in Entrepreneurship und Business Building oder auch schlicht die Motivation, den akademischen Karrierepfad aufzugeben.
  • Obwohl die meisten Gründer:innen ihr Start-up nicht direkt nach Verlassen der Hochschule ins Leben rufen, fokussieren sich die existierenden Förderprogramme fast ausschließlich auf Wissenschaftseinrichtungen – so werden etwa Ausgründungen aus Unternehmen nur begrenzt adressiert.
  • Das mögliche Spektrum an Gründungsformen wird nicht ausgeschöpft.
  • Vor allem für Impact-Start-ups besteht weiterhin ein Mangel an Finanzierungsangeboten.

Good-Practice-Beispiele zeigen konkrete Lösungen auf

Wie lassen sich diese Schwachstellen beheben? Wie kann das komplexe deutsche Fördersystem passgenau verbessert werden, ohne erfolgreiche Elemente zu vernachlässigen? Antworten auf diese Fragen lassen sich teilweise in anderen Industriestaaten finden, deren Förderlandschaften die hiesige zwar nicht zwingend übertrumpfen, die jedoch interessante Ansätze hervorgebracht haben, deren Etablierung man hierzulande erwägen könnte. Besonders hinsichtlich der Verwertungskultur und Gründungsunterstützung in der Wissenschaft sowie der Finanzierung von Impact-Gründungen ergibt sich Verbesserungspotenzial:

1. Verwertungspotenziale in der Wissenschaft erschließen

Trotz aller Förderprogramme bleibt in der hiesigen Forschungslandschaft noch immer großer Spielraum, was die Anwendung und Kommerzialisierung von Wissen und Forschungsergebnissen betrifft. Hier gilt es, eben dieser Anwendung einen höheren Stellenwert einzuräumen – auch und gerade im Selbstverständnis des Forschungspersonals. Besonders die drängenden gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen unserer Zeit legen es nahe, das vorhandene Kreativpotenzial an deutschen Wissenschaftseinrichtungen stärker zu nutzen. An vielen ausländischen Hochschulen und Forschungseinrichtungen arbeitet man aktiv daran, die mitunter starren Grenzen zwischen Wissenschaft auf der einen und (ökonomischer) Wertschöpfung auf der anderen Seite abzubauen. Ansatzpunkte für eine solche verwertungsunterstützende Infrastruktur umfassen zum Beispiel:

  • Ein Ausbau der Förderangebote für die Schnittstelle zwischen Forschung und Verwertung, wie beispielsweise verkörpert durch KAMIN in Israel, den Commercialisation Fund in Irland oder das dänische Proof of Concept
  • Eine stärkere Professionalisierung und ein personeller Ausbau der „Third Mission“ der Hochschulen, um dadurch (Aus-)Gründungen besser begleiten zu können. Vorbildhaft sind die Initiativen KTH Innovation in Stockholm, ETH Transfer an der ETH Zürich und – vor allem für den Hightech-Bereich – das Technion Entrepreneur in Residence Program von T³ an der Technion University in Haifa.
  • Anstöße für Wissenschaftler:innen, die möglichen (gesellschaftlich relevanten) Wirkungen ihrer Forschung zu eruieren, wie etwa beim Wettbewerb Pitch your Impact der ETH Lausanne oder durch das Stipendienprogramm Pioneer Fellowships der ETH Zürich

2. Förderparadigmen erweitern

Eine Stärke der deutschen Förderlandschaft ist zweifellos die bereits in der Gründungsvorbereitung ansetzende Förderung von Start-ups. Allerdings zeigen sich auch in diesem Kontext Verbesserungspotenziale, vor allem mit Blick auf eine Flexibilisierung der mitunter zu eng gefassten Förderparadigmen:

  • Statt des klassischen Verständnisses „Wissenschaftler:in wird zu Unternehmer:in“ könnten neue Gründungsformen erprobt werden, zum Beispiel ein „Gründen ohne Gründer:in“, bei dem die Know-how-Träger:innen im akademischen Arbeitsumfeld verbleiben, während Gründungsexpert:innen das Business Building übernehmen. Beispiele hierfür finden sich an forschungsstarken britischen Universitäten, wie etwa das Oxford University Innovation
  • Wirkungsvoll könnte auch eine stärker individualisierte Begleitung gründungsinteressierter Wissenschaftler:innen als festes Angebot an Universitäten sein. Vorbildhaft ist das Ausgründungsprogramm Founders Choice des Imperial College London, das sich am individuellen Erfahrungs- und Wissensstand der Forscher:innen orientiert.
  • Neben Hochschulen als Brutstätten innovativer Gründungen sollten Förderprogramme auch gezielt gründungswillige Personen aus Unternehmen und sonstigen Organisationen ansprechen. Eine explizite Adressierung dieser Gründungspotenziale wäre vielversprechend, da diese Gruppen bereits Unternehmenserfahrung, Marktkenntnisse, Netzwerke etc. einbringen können. Ein Beispiel ist die gesetzlich geregelte Leave-Option für gründungswillige Arbeitnehmer:innen in Schweden.
  • Gemeinschaftsgründungen durch Hochschulen und Unternehmen bieten sich gerade im Impact-Bereich an, da Unternehmen die damit verbundenen hohen Risiken oftmals scheuen. In diese Richtung geht der Ansatz des Programms Technion Entrepreneur in Residence von T³ der Technion University in Haifa, bei dem gründungsinteressierte Unternehmer:innen gemeinsam mit der Technologietransfereinrichtung nach Gründungschancen in der Universität suchen und diese umsetzen.

3. Impact-Gründungen gezielter fördern und langfristiger finanzieren

Obwohl sich das Kapitalangebot für Start-ups auch für die Frühphasenfinanzierung in den vergangenen Jahren deutlich verbessert hat, sehen sich manche Gründungen noch immer Engpässen ausgesetzt – nämlich jene Unternehmen, die nur eine geringe oder spät einsetzende Renditeerzielung erhoffen lassen. Dies trifft insbesondere auf Impact-Gründungen zu. Dazu stehen derlei Gründungen oftmals vor der Herausforderung, dass nur wenige speziell für sie aufgesetzte Förderprogramme existieren. Lösungsansätze hierfür wären u.a.

  • Gründungen, die für „klassische“ Beteiligungsgeber nicht attraktiv sind, einen besseren Zugang zu risikotragendem Kapital ermöglichen, zum Beispiel in Form von „Patient Capital“. In Großbritannien verfügen die großen Universitäten über eigene Risikokapitalfonds, für die mitunter frühere Ausgründungen nach raschem Wachstum wichtige Geldgeber sind (wie etwa in Oxford). Dadurch steht solches Patient Capital zur Verfügung. Auch die Universität Zürich kann auf einen solchen Fonds für Spin-offs
  • Ebenfalls sollte man einen Ausbau des öffentlichen Beteiligungskapitals erwägen, beispielsweise durch den Einbezug institutioneller Investoren in Beteiligungsfonds.
  • Impact-Gründungen könnten über ein eigenständiges Programm oder eine Förderlinie in bestehenden Programmen gezielt gefördert werden. Zumindest sollte man ihre Spezifika in den Bewilligungskriterien von Förderprogrammen berücksichtigen.

Augenmerk sollte auf Initialphase liegen

Es lässt sich zusammenfassen: Bei der Weiterentwicklung der deutschen Förderlandschaft für Start-ups geht es nicht um großflächige Anpassungen und auch nicht um den „Nachbau“ des Silicon Valley oder anderer vielgerühmter Hotspots, sondern um punktuelle Verbesserungen.

Ein besonderes Augenmerk sollte dabei auf der Initialphase liegen. Die vielen vorgestellten Beispiele zeigen, dass man das Rad dabei nicht neu erfinden muss – oftmals lässt sich auf erprobte Instrumente aus dem Ausland zurückgreifen.


Diesem Beitrag liegt die gemeinsam von der Bertelsmann Stiftung und dem Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung ISI verfasste Studie „Innovative Start-ups in der Initialphase fördern“ zugrunde. Sie erscheint in der Serie „Innovation for Transformation“. Darin stellen wir Strategien, Politiken und Instrumente vor, die geeignet sind, die Innovationskraft in Deutschland und Europa zu fördern. Zum einen, um technologisch – und damit wirtschaftlich – wettbewerbsfähig zu bleiben. Und zum anderen, um durch Innovation die großen Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen. Hierfür wurden Good-Practice-Beispiele aus 13 Ländern analysiert. Die nächste Folge dieser Serie zeigt abschließend die Hauptansatzpunkte unserer Studien auf und formuliert eine „Zukunftsagenda: Innovation for Transformation“.



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