Folgen der Corona-Krise für Selbstständige
Die COVID-19 Pandemie hat das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben in Deutschland seit März 2020 fest im Griff.
Während die verfügten Kontaktbeschränkungen privat alle in ähnlichem Maße treffen, könnten die wirtschaftlichen Auswirkungen der seit einem halben Jahr andauernden zweiten Phase der Beschränkungen im Vergleich zur ersten Phase nicht unterschiedlicher sein.
Industrie produziert im zweiten Lockdown stabil
Gesamtwirtschaftlich kommt die Wirtschaft viel besser durch diese zweite Phase. Vor allem das verarbeitende Gewerbe hatte in der ersten Phase kräftig Federn lassen müssen.
Im April 2020 waren knapp sieben Millionen Menschen in Kurzarbeit. Ganz anders jetzt: Im zweiten Lockdown produziert die Industrie durchgehend stabil und wächst sogar, solange es nicht zu Lieferengpässen kommt.
Während also die überwiegende Mehrheit der abhängig Beschäftigten im verarbeitenden Gewerbe – und anderen, von der Pandemie nicht betroffenen Sektoren – trotz aller pandemischer Sorgen einen Job hat und kaum finanziellen Druck verspürt, treffen die Kontaktbeschränkungen bestimmte Bereiche erheblich: vor allem den stationären Handel, die Gastronomie und Hotellerie, die Kultur- und Kreativwirtschaft, die Eventbranche, die Reisebranche und verschiedene weitere, auf physische Nähe angewiesene Dienstleistungsbereiche.
Obwohl diese vom Lockdown betroffenen Branchen geschätzt knapp 20 Prozent der Wertschöpfung in Deutschland ausmachen, werden ihre massiven wirtschaftlichen Sorgen von den insgesamt noch positiven Prognosen über den Anstieg des Bruttoinlandsprodukts verdeckt.
Viele Selbstständige in den betroffenen Branchen
Das Besondere an der aktuellen Situation ist, dass in den betroffenen Branchen anteilig viel mehr Selbständige mit Kleinstunternehmungen arbeiten als etwa im verarbeitenden Gewerbe.
Mehr als die Hälfte der Selbständigen haben nun aber in Folge der Eindämmungsmaßnahmen hohe Umsatz- und Einkommensverluste erlitten, viele von ihnen sehen sich seit Beginn der Pandemie immer wieder – und manche, wie in der Eventbranche, sogar fortlaufend – in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht.
Erste Hinweise deuten darauf hin, dass bis zu einem Fünftel der 4,2 Millionen Selbständigen bereits aufgegeben und entweder einen Job angenommen haben oder Arbeitslosengeld 2 beziehen.
Verschiedene Auswirkungen für die Geschlechter
Bisher kaum bemerkt wurde dabei die Tatsache, dass die Pandemie auch unterschiedliche geschlechterspezifische Wirkungen hat: Während knapp die Hälfte der selbständigen Männer Einkommensverluste berichten, sind es bei den selbständigen Frauen nahezu zwei Drittel.
Der Grund dafür sind Brancheneffekte: selbständige Frauen sind häufiger in Branchen tätig, die besonders stark von der Pandemie betroffen sind. Deshalb werden sie auch mit höherer Wahrscheinlichkeit mit Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie wie der Regulierung von Öffnungszeiten direkt konfrontiert.
Finanzielle und gesundheitliche Folgen
Die negativen Auswirkungen beschränken sich nicht auf finanzielle Verluste. Die Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit, die aus epidemiologischer Sicht zweifelsohne sinnvoll sind, bedrohen gleichzeitig die Existenz der betroffenen Selbstständigen, auch mit Folgen für deren psychische Gesundheit.
Dementsprechend spiegelt sich die stärkere Betroffenheit selbständiger Frauen in der COVID-19-Pandemie auch in einer relativ stärkeren Verschlechterung ihrer psychischen Gesundheit wider: Bei ihnen zeigen sich substanziell häufiger Depressions- und Angstsymptomen als in 2019, vor allem wenn sie Einkommensverluste zu verzeichnen haben, oder sich mehrfachen Belastungen wie etwa dem gleichzeitigen Home-Schooling und Home Office ausgesetzt sehen.
Abwärtsspiralen durch schädliche Entscheidungen
Die Kombination aus finanziellen Verlusten und einer Verschlechterung der psychischen Gesundheit können langfristig negative Wirkungen auf die betroffenen Selbständigen entfalten.
Es gibt wechselseitige Beziehungen zwischen dem psychischen Zustand und der Qualität von Entscheidungen. Stellt sich bei Selbständigen also – verursacht durch finanzielle Härte – in der Pandemiekrise eine schlechtere psychische Gesundheit ein, ist zu befürchten, dass ausgerechnet in dieser kritischen Situation eher schädliche Entscheidungen für die weitere unternehmerische Entwicklung getroffen werden.
Es drohen Abwärtsspiralen, die zu einem dauerhaften Ende unternehmerischen Aktivitäten führen können.
Abwenden von der Selbstständigkeit
Insgesamt zeigen sich selbständige Personen als besonders anfällig in einer solchen Pandemiekrise, Frauen häufiger als Männer. Wenn sich Selbständige gleichzeitig während eines solchen systemischen Schocks durch politische Maßnahmen zu wenig unterstützt fühlen, riskieren Wirtschaft und Gesellschaft aber, dass die Betroffenen sich von dieser Erwerbsform abwenden.
Eine solche Entwicklung würde sich negativ auf Wachstum und Produktivität in diesen Teilen der Wirtschaft auswirken. Insofern bedarf es eines verbesserten Policy-Mix zwischen Erhalt von bestehenden Unternehmungen und einer stärkeren Gründungsförderung nach Abschwächung der Pandemie.
Resilienz durch Maßnahmen erhöhen
In diesem Zusammenhang steht der Begriff Resilienz auf unterschiedlichsten Ebenen immer mehr im Mittelpunkt der Diskussion, um möglichst ohne größere Produktivitätseinbrüche durch die Pandemie zu kommen.
Auf individueller Ebene führt ein hoher Grad an Resilienz dazu, dass die psychische Gesundheit von den negativen Folgen der Pandemie nicht angegriffen wird, ist dabei ein wichtiges Puzzlestück.
Wenn es um die große Zahl der aktuell betroffenen Selbständigen geht, sollten daher Ansätze entwickelt werden, die deren Resilienz in der Krise erhöhen.
Das kann zum einen geschehen, indem die staatlichen finanziellen Hilfen so ausgestaltet werden, dass sie die Sorgen um die finanzielle Situation wirkungsvoller als bisher reduzieren. Dazu müssen staatliche Hilfen, etwa die Überbrückungshilfen, leichter (ohne Steuerberatung) zugänglich und in ihrer Nutzbarkeit verlässlicher werden, rasch gewährt und Lebenshaltungskosten begrenzt abdecken.
Auch eine zielgenaue Zahlung in Monaten mit hohen Umsatzeinbußen wäre zu bevorzugen. Möglich ist eine solche Ausgestaltung der Hilfen bei einer Abwicklung über die Finanzämter.
Eine entsprechende Abfederung finanzieller Verluste dürfte nicht nur die Wahrscheinlichkeit des Überlebens in Selbständigkeit erhöhen, sondern auch die psychischen Belastungen der betroffenen Selbständigen verringern. Und nur zur Erinnerung: es geht nicht um Almosen für Selbständige, sondern um den partiellen Ersatz von Umsatzverlusten aufgrund staatlich verordneter Einschränkungen.
Welche Geschäftsideen haben Zukunft?
Mit zunehmender Dauer der Krise muss aber auch eine andere Frage in den Vordergrund rücken:Welche Geschäftsideen in diesen unsicheren Zeiten der Covid-19-Krise noch eine Zukunft haben, auch wenn das nicht immer leicht zu beurteilen sein wird.
Auch muss die Frage noch mehr in den Vordergrund rücken, welche der betroffenen Unternehmungen durch gezielte Investitionen in Digitalisierung krisenfester gemacht werden können.
Mit anderen Worten: die zukünftige Gewährung von Hilfen, die demnächst ja auch die Eigenkapitalsituation der betroffenen Unternehmungen verbessern sollen, müssten zunehmend an die Ausgestaltung von Geschäftsplänen geknüpft werden, welche die Zukunftsperspektiven der Unternehmungen widerspiegeln.
Das heißt aber auch, dass diejenigen Selbständigen nicht vergessen werden sollten, die ihre Tätigkeit in diesen unsicheren Zeiten endgültig aufgeben müssen, weil ihre Geschäftsidee keine Zukunftsperspektive mehr hat.
Mit zunehmender Dauer der Krise wird es wichtig, diese durch Angebote für Weiterbildung und Umschulungen aufzufangen.
Wiederbelebung des Gründungszuschusses
Die Pandemie hat bereits erste tiefgreifende Spuren hinterlassen: die Zahl der derzeit aktiven Selbständigen ist in den vergangenen Monaten markant zurückgegangen, gleichzeitig ist das Gründungsgeschehen rückläufig.
Dieser Entwicklung sollte auch auf der politischen Ebene entgegengewirkt werden.
Dies gilt umso mehr, als die Arbeitslosigkeit nun auch sukzessive ansteigt.
Um (Wieder-)Gründungen von ehemaligen Selbständigen, die diese Erwerbsform pandemiebedingt aufgegeben haben, und aus der Arbeitslosigkeit heraus zu fördern, wäre die Wiederbelebung des Gründungszuschusses ein geeignetes Instrument, der dann allerdings auch für ehemalige Selbständige geöffnet werden müsste.
Der Zuschuss hatte sich in der Vergangenheit als äußerst erfolgreiches Instrument der Gründungsförderung etabliert.
Es bleibt zu hoffen, dass die Bundesregierung die Prioritäten nachjustiert, um weitere Impulse für Wachstum durch einen besseren Policy-Mix zu setzen.
Kommentare
„Um (Wieder-)Gründungen von ehemaligen Selbständigen, die diese Erwerbsform pandemiebedingt aufgegeben haben, und aus der Arbeitslosigkeit heraus zu fördern, wäre die Wiederbelebung des Gründungszuschusses ein geeignetes Instrument, der dann allerdings auch für ehemalige Selbständige geöffnet werden müsste.“
Neugründungen, selbst mit Zuschuss, wird für viele nicht in Betracht kommen. Zum einen weil ein nicht geringer Teil der kleinen und mittleren Personengesellschaften nebst haftendem Inhaber insolvent sind, zum anderen aber auch weil die finanziellen Reserven die man für diese Entscheidung benötigt aufgebraucht sein werden. Zudem steht Deutschland mit zwei weiteren Fußangeln dar:
Während die Nachbarländer das Verbraucherinsolvenzverfahren mit einführung der EU-Insolvenzrichtlinie auf Entschuldung statt auf Gläubigerbefriedigung umgestellt haben, hat DE sich erst nach einem Verfahren der EU auf eine Verkürzung der Frist auf drei Jahre eingelassen. Welches aber für die nicht geschäftlich veranlasste Privatinsolvenz wieder auf sieben Jahre gestreckt wird.
Das zweite Problem ist die nciht zielgerichtete Mittelverteilung. Länder, Bund und EU stellen insgesamt 4.000 Fördermöglichkeiten bereit, von denen aber die meisten Milliarden einfach liegen bleiben weil die meisten Programme keiner kennt und die Anträge, aus Angst man könnte jemanden übervorteilen, abschreckend umständlich gestaltet sind.