Industrie

Klimamanagement als Business Case: Wie Unternehmen einen Transformationsplan entwickeln

Michael RentschlerFraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA

Felix BuddeFraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik IPK

Deutschland steht, ebenso wie die europäische Union, derzeit vor massiven ökonomischen Herausforderungen. Handelskonflikte, Bürokratisierung, der Fachkräftemangel und viele weitere Faktoren führen zu einer massiven Belastung der industriellen Produktion.

Gleichzeitig erleben wir auf globaler Ebene eine weitere Beschleunigung der Klimakrise. Nie zuvor war der Anstieg der Kohlenstoffdioxid-Konzentration so hoch wie im vergangenen Jahr. Zudem sind zum ersten Mal sieben von neun planetaren Belastungsgrenzen überschritten.

Dies zeigt eindeutig, dass es die Umwelt nicht interessiert, ob aktuell der finanzielle Spielraum zur Bewältigung der ökologischen Krisen vorhanden ist oder nicht. Unsere Gesellschaft muss sich folglich mit der simultanen Bewältigung dieser Polykrisen befassen und neue Lösungen suchen.

Üblicherweise werden Wirtschaftlichkeit und Klimaschutz dabei als konkurrierende Ziele gegenübergestellt. Dass dies nicht zwingend der Fall sein muss, zeigt die Wissenschaft: Viele Unternehmen verzeichnen sinkende Produktionskosten durch die systematische Auswahl und Umsetzung von Dekarbonisierungsmaßnahmen.

Die große Aufgabe besteht damit darin, den Zielkonflikt zwischen wirtschaftlichem Erfolg und ökologischer Nachhaltigkeit zu lösen. Was Organisationen dafür brauchen? Instrumente, um einen Transformationsplan mit geeigneten Maßnahmen zu entwickeln.

Emissionsvermeidungskosten ermitteln

Unternehmen stellt die Entwicklung eines Transformationsplans gleich vor mehrere Herausforderungen: Sie müssen zunächst einmal in Erfahrung bringen, welche Emissionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette überhaupt anfallen. Denn nur wer den Status-quo kennt, kann realistische Ziele und geeignete Klimaschutzmaßnahmen festlegen. Deshalb entwickelte der Fraunhofer-Verbund Produktion in einem Projekt hierfür eine strukturierte Vorgehensweise.

Die Methode ermöglicht eine Auswahl und Priorisierung von Dekarbonisierungsmaßnahmen für Unternehmen und Organisationen aller Art. Kern der Methode ist eine dynamische und szenarienbasierte Berechnung von Emissionsvermeidungskosten für unterschiedliche Maßnahmenalternativen.

Emissionsvermeidungskosten geben an, wie hoch die Kosten zur Reduktion einer Tonne CO2eq durch eine individuelle Maßnahme sind. Die Nutzung dieser Kennzahl erlaubt demnach Aussagen über die wirtschaftliche Effizienz von Maßnahmen bei der Reduktion von Emissionen.

Die Aggregation der Vermeidungskosten gibt das Gesamtbild aller Maßnahmen hinsichtlich Emissionsreduktionspotenzial und Effizienz bei der Reduktion wieder. Auf diese Weise lässt sich letztlich ableiten, welche Maßnahmen notwendig und zu priorisieren sind, um ein bestimmtes Klimaziel zu erreichen. Zudem lässt sich berechnen, wie hoch das Gesamtreduktionspotenzial ist und wie hoch die Gesamtkosten des Maßnahmenplans.

Die Methode lässt in ihrer ursprünglichen Form lediglich eine stichpunktartige Bewertung zum Berechnungszeitpunkt zu. Angesichts der Tatsache, dass Klimastrategien jedoch häufig einen Zeitraum von fünf bis teilweise 20 Jahren umfassen, wird dies der zukünftigen Entwicklung nicht gerecht und beinhaltet einen großen Unsicherheitsfaktor. Aus diesem Grund wurde eine szenarienbasierter Ansatz entwickelt, welcher eine Dynamisierung der Bewertung für unterschiedliche Zukunftszeitpunkte und für unterschiedliche Zukunftsszenarien ermöglicht.

Emissionen und Kosten sparen

Die weiterentwickelte Methode wurde bei einem international tätigen, familiengeführten Konzern mit Sitz in Deutschland angewendet und validiert. Bei dem Hersteller von Elektrogeräten wurden über 50 konkrete Einzelmaßnahmen identifiziert und insgesamt drei Szenarien entwickelt und modelliert.

  • Im „konservativen Szenario“ wirken sich die Rahmenbedingungen (z.B. ein niedriger CO2-Preis) eher negativ auf Klimaschutzmaßnahmen aus, wodurch Vermeidungskosten höher ausfallen und Reduktionspotenziale limitiert sind.
  • Im „Business-as-usual-Szenario“ setzt sich der aktuelle Trend fort, was insgesamt zu moderaten Rahmenbedingungen und damit mittleren Vermeidungskosten und Reduktionspotenzialen führt.
  • Im „progressiven Szenario“ wirken sich die Rahmenbedingungen positiv für Klimaschutzbemühungen aus, was zu niedrigen Vermeidungskosten und hohen Potenzialen führt.

Auf Basis dieser Analysen wurde eine Entscheidungsgrundlage zur Auswahl und Priorisierung von Maßnahmen, zur zeitlichen Einordung der Maßnahmenpakete und zur Berechnung und Allokation des Transformationsbudget entwickelt.

Die entwickelte Methode kann zu wirtschaftlich sinnvollen Klimastrategien führen. Bis zu 20 Prozent der Zielerreichung kann durch Maßnahmen erfolgen, die Kosten einsparen und somit nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch sinnvoll sind.

Ein „kostenneutraler“ Reduktionsplan, bei dem sich Kosteneinsparungen und Kostensteigerungen durch Maßnahmen ausgleichen, reicht bei günstigen Rahmenbedingungen zu einer Emissionsreduktion von über 25 Prozent, was den ambitionierten Anforderungen der Science Based Targets Initiative (SBTi) entspricht. Im Beispiel des Anwendungsunternehmens könnten so bis 2030 mehr als eine Million Tonnen CO2eq pro Jahr kostenneutral eingespart werden.

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