Ökologische Transformation geht nur mit Vertrauen in den Mittelstand

Prof. Dr. Dr. h.c. Friederike WelterInstitut für Mittelstandsforschung (IfM) Bonn / Universität Siegen

Fragt man Familienunternehmerinnen und Familienunternehmer, welche Unternehmensziele sie verfolgen, dann stellt man fest, dass ihnen insbesondere auch ökologische Ziele deutlich wichtiger sind als Führungskräften in nicht-mittelständischen Unternehmen. Per se steht der Mittelstand also der ökologischen Transformation sehr positiv gegenüber.

Das wundert nicht, schließlich sehen sich viele mittelständische Unternehmerinnen und Unternehmer aufgrund ihrer regionalen Verwurzelung sowohl gegenüber ihrer Heimat als auch der nachfolgenden Familiengeneration in der Verantwortung. Bei manchen Unternehmerinnen und Unternehmen wird die positive Einstellung zusätzlich durch negative Erfahrungen mit Extremwettereignissen oder durch konkrete Kundenerwartungen an die Unternehmensprodukte verstärkt.

Gleichwohl stellt in vielen mittelständischen Unternehmen das vorgegebene Ziel, bis 2045 in Deutschland klimaneutral zu wirtschaften, angesichts des hohen Preisniveaus und der niedrigen Konjunkturerwartungen eine Herausforderung dar. Besteht daher möglicherweise die Gefahr, dass es zu einem Zielkonflikt zwischen der Klimapolitik und dem Erhalt des Mittelstands kommt?

Der Mittelstand kann prinzipiell Krise

Unseren Forschungsergebnisse zufolge kann ein Zielkonflikt vermieden werden, wenn sich die Bundesregierung bei der von ihr geplanten Weiterentwicklung der sozialen Marktwirtschaft zur sozialen ökologischen Marktwirtschaft an die wesentliche Grundbedingung nach Ludwig Erhard hält: „Eines ist bei einem guten Fußballspiel als wesentliches Merkmal zu erkennen: Das Fußballspiel folgt bestimmten Regeln, und diese stehen von vornherein fest. Was ich mit einer marktwirtschaftlichen Politik anstrebe, das ist – um im genannten Beispiel zu bleiben – die Ordnung des Spiels und die für dieses Spiel geltenden Regeln aufzustellen.“

Die mittelständischen Unternehmerinnen und Unternehmer haben nicht erst seit der Corona-Pandemie bewiesen, dass sie sich an veränderte Bedingungen rasch anpassen und Herausforderungen weitestgehend aus eigener Kraft meistern können.

Dennoch neigt die Politik immer wieder dazu, in die Wirtschaft lenkend einzugreifen. Das heißt, sie will – um das Beispiel Ludwig Erhards aufzugreifen – nicht nur die Spielregeln vorgeben, sondern auch in Aufstellung und Spieltaktik hineinreden. Im Falle der Corona-Pandemie war dies eine Zeit lang durchaus berechtigt, da die Krise nicht vorhersehbar war und in Wellen immer wieder zurückkehrte. Mit Hilfe der staatlichen Maßnahmen konnten die akute Betroffenheit der Unternehmen sowie die persönliche Situation der Unternehmerinnen und Unternehmer abgemildert werden. Insgesamt wurde dadurch das Ausmaß der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schäden begrenzt.

Mit dem Abklingen der Pandemie war es dann aber wichtig und sinnvoll, wieder zu einer rahmenorientierten Ordnungspolitik zurückzukommen. Schließlich wollen und können sich Familienunternehmerinnen und Familienunternehmer in der Regel selbst helfen. 

Folgen einer lenkenden Politik

Um die Wirtschaft klimafreundlich umzubauen, bedarf es zweifellos Regulierungen. Die Politik darf dabei jedoch nicht in Versuchung geraten, die Wirtschaft über Gesetze und Vorgaben in eine bestimmte Richtung lenken zu wollen. Ansonsten riskiert sie, dass die zunehmende Bürokratie in den Unternehmen sowohl zu Ausweichstrategien als auch zum völligen Negieren von Vorgaben führt.

So zeigt eine unserer jüngeren Befragungen bereits, dass die mittelständischen Unternehmerinnen und Unternehmer neue Vorgaben der Bundesregierung im Zuge der ökologischen Transformation zunehmend kritisch sehen. Als Grund hierfür geben sie unter anderem den zunehmenden Detailierungsgrad der Vorgaben und Gesetze an. Dadurch werden die Abläufe in den Unternehmen permanent gestört sowie immer mehr Personal durch die Beschäftigung mit den neuen Regulierungen gebunden.

Gesetzliche Ausnahmen greifen nicht

Oftmals greifen auch gesetzliche Ausnahmen für kleinere Unternehmen nicht: Beispielsweise müssen börsennotierte Unternehmen bereits heute darstellen, wie nachhaltig sie wirtschaften. Ab 2026 gilt dies auch für größere mittelständische Unternehmen und ab 2027 für alle kapitalmarkt-orientierten kleinen und mittleren Unternehmen – Kleinstunternehmen ausgenommen.

Tatsächlich sind aber schon heute viele mittelständische Unternehmen indirekt von der Regulierung betroffen – beispielsweise, wenn sie als Zulieferer in Wertschöpfungsketten eingebunden sind. Folglich müssen auch sie Strukturen aufbauen, um den Informationsbedarf ihrer Kunden zu bedienen. Dieser variiert jedoch sowohl im Hinblick auf den jeweils benötigten Inhalt als auch hinsichtlich der angefragten Frequenz.

Anzahl der Zertifizierungspflichten steigt

Aber auch die steigende Anzahl an Zertifizierungspflichten kann die unternehmerische Akzeptanz der ökologischen Transformation beeinträchtigen. So sind bislang Zertifizierungsmöglichkeiten nur begrenzt vorhanden. Dies führt dazu, dass sowohl die Zertifizierungskosten steigen als auch ein Teil der Unternehmen nicht zeitnah zertifiziert werden kann.

Da aber immer häufiger bestimmte Zertifikate erwartet werden, wenn sich ein Unternehmen beispielsweise um Fördermittel oder um Aufträge von öffentlichen oder privaten Großkunden bewirbt, kann es faktisch zum Marktausschluss einzelner nicht zertifizierter Bewerber kommen.

Bürokratie nicht erst jetzt ein Problem für den Mittelstand

Unabhängig von diesen beiden konkreten Kritikpunkten darf man nicht vergessen, dass sich zwei Drittel der Unternehmerinnen und Unternehmer bereits – trotz der vielen Bürokratieabbau-Initiativen in der Vergangenheit – unverhältnismäßig stark von staatlicher Bürokratie belastet fühlen. Dabei spielt nicht nur der statistisch messbare Aufwand eine Rolle, sondern auch psychologische Kosten wie Stress, Wut und Ohnmacht.

Das zeigen auch unsere Befragungen: Vier von zehn Unternehmerinnen und Unternehmern fühlen sich durch die aktuellen bürokratischen Vorgaben in ihrer unternehmerischen Eigenverantwortung eingeschränkt. Acht von zehn Unternehmerinnen und Unternehmer geben an, inzwischen aufgrund der Bürokratiebelastung ihre Freude an der unternehmerischen Tätigkeit zu verlieren. 

Ökologische Transformation durch gezielte Regulierungen stärken

Angesichts dieser Entwicklung sind die Schritte der Bundesregierung in ihrer jüngst vorgestellten Wachstumsinitiative zum Thema Bürokratieabbau zu begrüßen: Geplant ist ein jährliches Bürokratie-Entlastungsgesetz, eine Verpflichtung aller Ressorts zum konsequenten Abbau von Nachweis- und Berichtspflichten sowie Praxis-Checks.

Damit die mittelständischen Unternehmen wieder ihre Stärken im (globalen) Wettbewerb ausspielen können, brauchen sie also eine aktivierende Politik – und keine lenkende.

Konkret bedeutet dies: Statt detaillierter Gesetzesvorgaben oder zahlloser Ver- und Gebote bedarf es eines Ordnungsrahmens, innerhalb dessen die Unternehmerinnen und Unternehmer individuell auf die aktuellen Herausforderungen reagieren können. Schließlich wissen sie am besten, wie sie die ökologische Transformation in ihrem Betrieb sinnvoll umsetzen.

Die klimafreundlichen Regulierungen sollten auf möglichst wenige Instrumente mit möglichst großer Wirksamkeit beschränkt werden, wie beispielsweise den EU-Emissionshandel, das CO2-Grenzausgleichssystem oder die Klimasozialfonds. Dies würde den Unternehmerinnen und Unternehmern ein flexibles Vorgehen ermöglichen und das betriebliche Innovationspotenzial für weiterreichenden Klimaschutz am besten erschließen.

Zugleich würden verpflichtende Zertifizierungen auf wenige Schlüsselindikatoren begrenzt. Und last but not least könnte so auch dem Fachkräftemangel entgegengewirkt werden: Je weniger Personalressourcen schließlich für die Umsetzung neuer Regularien eingesetzt werden müssen, desto mehr stehen sie für die eigentliche Betriebstätigkeit zur Verfügung.

 Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:

Studie von OECD und Bertelsmann Stiftung: Transformation im Mittelstand von Lora Pissareva, OECD, Armando Garcia-Schmidt, Bertelsmann Stiftung und Jan Spanhofer, Hertie School

Nachhaltigkeitsberichterstattung im Mittelstand: Wie isst man einen Elefanten? von Prof. Dr. Christina E. Bannier, Justus-Liebig-Universität Gießen

Ungelöste Herausforderungen in der Klimafinanzierung von Niklas Illenseer, MCC Berlin



Kommentar verfassen